Kreistag (IX): die Angolas kriegen nix gebacken

20. Juni 2022, Stadthalle Groß-Umstadt

Beginn: 13:05 Uhr — Ende: 17:28 Uhr

Was vorher geschah

Neben all den Tagesordnungs-Änderungen, die ich während #Rolands9EuroTour (Twitter berichtete) erhalten hatte, kam am 15. Juni 2022 um 15:30 Uhr (also genau ein Werktag vor der Kreistagssitzung) eine Nachricht, dass der Landkreis Bock drauf hat, einen Schlachthof zu kaufen. Begründung: Tiere aufessen ist wichtig und die Kleinanleger froh, ihre Anteile ohne weitere Verpflichtungen loszuwerden.

Ich war ja sowieso im Urlaub (an dem Tag in Zittau und Görlitz), aber auch die Realpolitik-Kollegys hatten wg. des Feiertags + verlängertem Wochenende kaum Gelegenheit, darauf zu (re-) agieren.

Vor der Sitzung

Heute ist die Verwaltung großzügig: es gibt Kaffee und Tee! Sogar mit Zucker und Milch! Wie sich zeigen wird, ist das Koffein auch notwendig: der Landrat hat angekündigt, „ein paar Worte“ zu sagen.

Nur wenige Abgeordnete sind anwesend. Frau Wucherdings bimmelt ab 13:00 Uhr mehrmals und ruft dazu auf, sich endlich auf die Plätze zu begeben.

Beginn: 13:05 Uhr

Nach der Gedenkminute für den kürzlich verstorbenen W. Speckhardt erfahre ich, dass nur 36 der 71 Kreistagsabgeordneten anwesend sind und somit das Quorum (50%+1) nur knapp erreicht wird. Kurzzeitig überlege ich, einen Ohnmachtsanfall vorzutäuschen, um die Sitzung zu sprengen, aber dann kommen ein paar der notorischen Zu-Spät-Kommer:innen in den Saal. Mist!

Frau Wucherdings sagt, wir würden für die nächste Sitzung im September wieder in den Kreistagssitzungssaal in Darmstadt-Kranichstein zurückkehren. Da bin ich ja mal gespannt… — und: welcher Kreispolitiker Ü60 wird bis dahin „plötzlich“ verstorben sein? Bei den letzten drei Sitzungen gab es immer Schweigeminuten für jemanden*.

TOP 6 — das Schulbauprogramm

Im Haushalt haben die Angolas von sPD und €dU diesmal €80 Mio. vorgesehen; vorher waren es €30 Mio. Offenbar kann der Landkreis klotzen, weil das Geld locker sitzt.

Herr Sehlbach von der €dU will sogar €120 Mio. verballern, labert was von einem „wachsenden Landkreis“ und malt ein Bild von „Investitionen“. So kann man das Weiter-In-Die-Exkremente-Reiten der Angolas auch nennen. Aber die anderen Realo-Parteien (GRNE, FW/UWG) finden das gut; nur die Spaßpartei fdP gibt zu bedenken, dass das Regierungspräsidium Einsparungen fordert, weil „LaDaDi pleite“.

Das interessiert Matti Merker (sPD) aber auch nicht und er fordert: „Beim Schulbau keine Einsparungen!“ Auch er schwafelt was von einem „wachsenden Landkreis“ — offenbar eine aus der Luft gegriffene Behauptung, um die Prasserei zu rechtfertigen.

TOP 7 — das Regierungspräsidium schimpft, aber das ist den Angolas egal

In einem Brief vom 15. Juni 2022 schreibt die Regierungspräsidentin, dass die vom Kreisausschuss beschlossene Haushaltssatzung immer noch nicht genehmigungsfähig ist. Sprich: der Landrat, seine Leute und die Angolas im Kreisausschuss haben immer noch nicht begriffen, dass es für den Landkreis finanziell fünf nach zwölf ist. Das kennt man bei sPD und €dU beim Thema Klimawandel aber auch schon; das ist also nichts neues.

Apfelwein für alle

Laut Herrn Scheelhaas sei der Haushalt nur deswegen nicht genehmigungsfähig, weil („grob gesagt“) keine Tilgung der Kredite vorgesehen ist. Auf die Frage, wie man den Haushalt genehmigungsfähig bekäme, antwortet er sich selbst mit „Wer weiß?“ — ein wahrhaft kompetenter Mann! Unser Landrat der Herzen Luke Laumann hätte das überzeugender beantworten können, aber das Wahlvieh hat am 30. Mai 2021 lieber die sPD-Lügen von „Scheelhaas vertrauen“ und „Scheelhaas: Verantwortung“ geglaubt als den viel besseren Versprechen der sehr guten PARTEI.

Ich höre seinem Blabla schon gar nicht mehr so richtig zu. Worte wie „Tilgung“, „Finanzministerium“, „Hessenkasse“ und „Liquiditätskredite“ fallen. Lösungen hat er keine, aber der Kreistag möge doch bitte dem Haushalt zustimmen. Dann kündigt er an, noch „einen Satz“ zu irgendwas sagen zu wollen und labert uns weitere fünf Minuten die Hucke voll zu 10 verschiedene Themen. Ich schaue auf die Uhr: schon nach 14:00 Uhr, ich habe noch nichts gegessen und der schlimmste Part kommt noch: die Haushaltsdebatte.

TOP 8 — der vermurkste Haushalt

Für diesen Tagesordnungspunkt gibt es 20 (in Worten: zwanzig) Minuten Redezeit pro Fraktion – man kann sich also auf viel Gebabbel einstellen. Auch ich hätte solange quatschen können, aber: hey! – Die Real-Politiker:innen sollen sich ruhig gegenseitig zerfleischen. Ich gucke lieber zu, trinke Kaffee, lache vor mich hin und protokolliere.

Den Anfang macht die €dU mit ihrem ambitionierten Jungspund Zeißler: er beginnt seine Rede mit dem theatralischen Spruch von „dunklen Wolken über dem LaDaDi“. Ob ihm sein Mentor Manni Pentz wohl die Rede geschrieben hat? — Wer weiß.

Die Schulden müssten abgebaut werden, fordert er, das sei man nachfolgenden Generationen schuldig (€1 ins Phrasenschwein). Alle 71 Kreistagsabgeordneten seien verantwortlich für das Wohlergehen des Landkreises. Ich ziehe die Augenbrauen hoch: Was denn? Die €dU gibt ihre Blockadehaltung gegenüber Fraktionslosen auf und erlaubt, sie über Vorgänge in Kreisausschuss und Kreistagspräsidium zu informieren oder nicht mehr hinterrücks mit „persönlichen Erklärungen“ beleidigter Leberwürste mundtot machen zu wollen?

Aber nein — es war nur ein weiterer Euro im Phrasenschwein.

Zeißler zitiert offensichtliches, was jede:r Interessierte seit Monaten nachlesen kann. War er denn am 3. Mai nicht beim Vortrag? Für ihn als Jungspund gilt bei sowas aber vielleicht „tl;dr“, weswegen er erst vor Kurzem aufgeklärt wurde — Wer weiß.

Er versucht, sich über die Opposition lustig zu machen, indem er behauptet, ihre Vorschläge wären nicht konstruktiv. Er greift die Fraktionsvorsitzenden von UWG/FW, Grünen und Linke/KL direkt an – wg. „Untätigkeit“. Die #FCKAfD bleibt unerwähnt… — haben die gute Vorschläge gemacht oder was?

Mit seiner gespielten Empörung lenkt er mehr oder minder geschickt von der Einfallslosigkeit der €dU bei den Haushaltsfragen ab. Dabei war es doch seine schmucke Partei, die unbedingt an die Macht wollte, ihren ach-so-tollen Landratskandidaten für die Angola-Koalition verramscht und ihm den Vize-Landratsposten erklüngelt hat, um an die großen Töpfe zu kommen.

Phrasenschwein-würdige Schlagwörter und blumige Formulierungen wie „DaDi-Liner!“, „Digitalisierung!“, „Bildung!“ und „ÖPNV!“ fallen, und dass bei letzterem das Ziel sei, ohne Umsteigen von Groß-Zimmern zum Hbf in Darmstadt zu kommen (ich muss kurz an Stoiber und die „10 Minuten“ denken).

Mal unter uns, Herr Zeißler: Das mit dem „Nicht-Umsteigen“ glaubt Ihnen keine:r – nicht mal Herr Schuchmann.

Am Ende sagt Zeißler noch „Unangemessene Entscheidungen stehen uns bevor“, aber bevor ich aufstehen und laut Beifall klatschen kann, korrigiert er sich und behauptet das Gegenteil.

Der nächste Redner ist der frischgebackene sPD-MdB Lamers (oder so). Er verschwendet viel Zeit darauf zu erwähnen, wie toll die Verwaltung doch arbeite und wirft UWG/FW vor, dass deren Vorschläge viel Geld kosten würden. Er sagt nicht, dass die Politik der Kreis-sPD den LaDaDi schon seit Jahrzehnten viel Geld kostet und sie ihn im letzten Jahr noch mehr in den Morast geritten hat, aber das ist ja allgemein bekannt, oder nicht?

Wie ein gut indoktrinierter sPD-Parteisoldat quasselt er noch irgendwas von „Zeitenwende“. Was das ist, weiß nicht mal sein Chef Kanzler Schloz. Ob er ihn auf dem sPD-Bundestags-Sommerfest (das mit den K.O.-Tropfen) gefragt hat, um mehr zu erfahren?

Der „wahre“ Linke Bischoff findet den Haushalt natürlich Mist. Was sollte er denn sonst auch sagen? Es würden nur Symptome therapiert, sagt er und: der Landkreis Darmstadt-Dieburg sei einer der wenigen, die kein ÖPNV-Sozialticket haben — da haben Sie einen Vorschlag, Herr Zeißler! Oder soll der Landkreis lieber auf einen Privatflieger für den Landrat sparen?

Am Ende sagt Bischoff noch: „Wer die Reichen verschont, muss sich mit Geldknappheit auf kommunaler Ebene rumschlagen“, womit er durchaus recht hat.

Als der zerzauste Professor der fdP ans Rednerpult geht, bin ich schon gelangweilt, weil ich ahne, was kommt. Und ja: in traditionell-bourgeoiser fdP-Manier bemüht er Vergleiche des Landkreises mit Segelbooten. Warum nicht Golfplätze oder Rolex-Uhren?

Ich habe Hunger und gehe erstmal was zu essen kaufen.

Lecker Käffchen…

Als ich nach ca. 15 Minuten, mit ein paar Teilchen vom Bäcker und einem frischen Kaffee aus dem Saal-Foyer zurückkomme, redet der Grüne Grunwald. Er nimmt die €dU und Jungspund Zeißler schön auseinander: die Angolas reagierten nur auf die Lage und führen lediglich auf Sicht. sPD und €dU hätten keinen Plan und keine Strategie; es gäbe ein Kommunikations-Desaster rund um den Haushalt und zu viele Änderungsanträge auf den letzten Drücker. An Jungspund Zeißler gewandt sagt er, dass diese Kurzfristigkeit logischerweise dazu führt, dass die Opposition keine Vorschläge machen KANN und dass Zeißler’s Anschuldigungen deshalb eine Respektlosigkeit dem Kreistag gegenüber seien.

Tja, Junge: sauber abgewatscht. Aufstehen, Dreck von der Strampelhose abklopfen, noch mal probieren… – vielleicht beim nächsten Mal weniger großkotzig (und nicht mit dem Lied der „geilen Layla“ im Kopf).

Ein paar andere Grüne reden noch bis Herr Rupp (UWG/FW) kommt, und Jungspund Zeißler wird wieder verbal geohrfeigt – tja, kommt davon. Das Regierungspräsidium hat den Haushalt bisher 3x abgelehnt; alle 23 Bürgermeister der Landkreis-Kommunen seien dagegen. Der Haushalt sei nicht kaufmännisch, sondern parteipolitisch berechnet. Die „Anpassungen“ der Stellenbesetzungen erzeugten € 5,4 Mio. Extrakosten. Der Haushalt enthalte keine Perspektiven für die Zukunft und kein Bemühen um Klimaneutralität.

Danach kloppen sich noch Schimmel (€dU) und Muth (fdP) verbal: Schimmel greift erst Muth an, der sich damit verteidigt, dass es unfair sei, dass der Landkreis sparen müsse, die Kosten dafür aber größtenteils auf die Kommunen abgewälzt würden, weil das die kommunalen Haushalte belaste und ernsthafte Probleme verursache. Ob die zwei sich nach der Sitzung noch privat hinter der Sporthalle getroffen haben, ist mir nicht bekannt.

Die Per-Hand-Abstimmungen zu einzelnen Haushaltspunkten in TOP 8 werden schnell durchgeführt, wobei zwischendrin Zweifel aufkommen, ob die Angola-Koalition überhaupt die Mehrheit hat im Saal; also wird nachgezählt: Angolas (sPD/€dU): 32; Opposition: 21.

TOPs 9, 10, 11, 12, 15, 16 niemand hat mehr Lust

Diese Punkte werden flott abgestimmt und durchgewunken.

TOP 24 — wie die Angolas die Demokratie verarschen und der Kreistag es nicht mal merkt

Wie schon erwähnt: kurz vor der Sitzung hatte der Vize-Landrat Lust darauf, sich einen Schlachthof zu kaufen (wer träumt nicht davon, das Schnitzel von seinem eigenen Metzger verspeisen zu können?); also brachte er schnell eine „Landratsvorlage“ auf die Tagesordnung. Es gab keine Vorstellung des Antrags, keine Aussprache dazu, niemand von den Angolas (sPD/€dU) fühlte sich bemüßigt, IRGENDETWAS dazu zu sagen — und schwupp: hat der Landkreis neben der reaktionären €dU und der Pleite-sPD nun auch noch einen maroden Schlachthof an der Backe.

Was ich davon halte, habe ich ja schon auf meinen Social Media-Kanälen geäußert (u.a. hier), und der stellv. sPD-Fraktionsvorsitzende Merker findet das nach wie vor nicht schlimm (hier).

Die Realpolitik-Oppositions-Parteien (GRNE, UWG/FW, FDP, Linke/KL) sind nicht mal beleidigt… — ist das schon Resignation?

Willkommen in der kommunalpolitischen Realität, in der die Demokratie unnötig gemacht wird (und dann beklagt man sich, dass niemand wählen geht oder die Opposition keine Vorschläge macht)?

(Nochmal) TOP 8 — die Abstimmung

In der namentlichen Abstimmung zum Haushalt am Ende der Sitzung (jede:r musste auf die Frage „Stimmen Sie dem Haushalt zu?“ laut mit „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ antworten) stimmen am Ende der Sitzung 36 Abgeordnete mit „Ja“ und 22 mit „Nein“.

Ende

Um 17:28 Uhr ist die heutige Trauervorstellung Kreistagssitzung vorbei. Haushalt ist echt Mist; kein Wunder, dass so viele darauf keine Lust haben und einfach zu Hause geblieben sind – übrigens auch viele von denen aus der sPD/€dU-Koalition und alle der Rechtsextremen der #FCKAfD (bis auf den „Homöopathen“, der schon mal gerne BK-Hamburger und Chipse aus der Tüte isst, und heute wie immer schön die Fresse gehalten hat).

Ich freue mich auf den satten Rabatt, den ich bestimmt exklusiv als Kreistagsabgeordneter für Würstchen und Steaks aus Brensbach bekomme. Schließlich bin ich für das Wohlergehen des Landkreises mitverantwortlich und verdiene deshalb den Discount — hat jedenfalls €dU-Jungspund Zeißler gesagt, und dem hat Manni Pentz eingetrichtert, dass er recht hat.

Ein Wort noch zum Verhalten der Kreistagsvorsitzenden während der Sitzung

Frau Wucherpfennig hatte ja schon öfter Schwierigkeiten, in den Sitzungen Neutralität zu wahren, aber was sie da heute abgeliefert hat, war unter aller Kanone. Wenn sie nicht fähig ist, ihr Temperament im Zaum zu halten und glaubt, ihre persönliche Meinung nicht nur völlig unangebracht kundzutun und dabei auch noch rechthaberisch Abgeordnete zu unterbrechen, die sich deshalb bei ihr beschweren, dann sollte sie überlegen, abzutreten und jemand anderem den Posten zu überlassen.

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*) Bevor mir Pietätlosigkeit vorgeworfen wird: das meine ich ganz ohne Sarkasmus. Vielleicht ist die „Grippe“ Corona ja trotz Impfung + Booster doch nicht so harmlos, wie uns die Wirtschaft Politik weismachen will.