Kreistag Nr. 16: Gaudi und konformes Mitlaufen

25. September 2023, Kreistagssitzungssaal Darmstadt-Kranichstein

Beginn: 13:03 Uhr – Ende: 15:12 Uhr

Vorab

Am Tag vorher hatte die sehr gute Partei Die PARTEI zum Abschluss ihres BundesPARTEItages in Mainz beim live ausgestrahlten „Oktoberfest“–ZDF-Fernsehgarten gefeiert (die Presse äußerte sich dazu: hier, hier und hier; hier die Zusammenfassung für die lesefaule GenZ) und bewiesen, dass ein paar Polonaisen und Pool-Sprünge die deutsche Medienlandschaft mehr beschäftigt als der widerrechtliche Überfall der Diktatur Aserbaidschan auf das demokratische Berg-Karabach und die ethnische Säuberung eines gesamten Landstriches. Da ich –wie viele PARTEI-GenossX– noch in Feierlaune bin, komme ich heute in (Fake-) Lederhosen, blau-weiß (oder war es weiß-blau?) kariertem Hemd, aber, pflichtbewusst und höchst angemessen für den hohen Anlass, mit Krawatte und Sakko zur Sitzung.

Um 13:01 Uhr ertönt ein Vier-Ton-Gong. Leider erfolgt keine Ansage, welche der Kassen nun geöffnet wird. Kurz darauf eröffnet die Kreistagsvorsitzende Frau Wucherpfennig die Sitzung, obwohl noch nicht alle auf ihren Plätzen sind (Richtig so! Den müssen mal mores gelehrt werden, den ollen Schwätzer:innen!).

Beginn: 13:03 Uhr

AfDer Nitsch fehlt mal wieder (wie seit mehr als einem Jahr); diesmal zur Abwechslung mal wieder unentschuldigt. Wohnt er überhaupt noch im Landkreis? Kann das der Kreisausschuss endlich mal überprüfen lassen? Hallo?

Auf dem (Mini-) Tisch steht heute eine Literflasche Sprudelwasser und Frau Wucherdings weist darauf hin, dass wir uns doch bitte die Flasche mit einem Nachbarn teilen sollen, damit nicht so viele am Ende der Sitzung halbvoll sind und das Wasser weggeschüttet werden muss. Ich fühle mich an meine Mutter erinnert, die auch immer so sparsam war und mit ihrem Nachkriegskind-Trauma den Vorratskeller immer bis zum Bersten vollgestopft hatte (es könnte ja bald wieder ein Krieg ausbrechen). Übrigens muss ich meinen Nachbarn Werner Bischoff (Ü70) während der Sitzung mehrmals daran erinnern, dass er doch mal Wasser trinken solle – da ist er auch nicht anders als meine mittlerweile 80-jährige Mutter.

TOP 2.3 – So geht Resignation: alle unzufrieden, aber was soll man machen?

Die Grünen meckern mal wieder, und das, obwohl der Landrat und sein Angola-Team aus sPD und €dU nach zahlreichen Änderungswünschen des Regierungspräsidiums schon im August die Genehmigung für den Haushalt 2023 bekommen hat. Auch mit dem hessischen Spitzenplatz bei der Kreisumlage für die Kommunen (57-Komma-irgendwas Prozent) sind sie nicht zufrieden. Der zerzauste Professor redet zwar davon, dass auch seine Spaßpartei fdP nicht so ganz einverstanden ist und dass sich der Landrat an seinem Maximal-58%-Versprechen für die Kreisumlage für die Bewertung seiner Politik messen lassen muss, sagt dann aber, dass seine Fraktion sowieso zustimmen würde. Komisch: erst moppern und dann doch klein beigeben… – sowas kennt man von der fdP sonst gar nicht.
Mehr als eine Woche (!) später berichtet das „Echo“ dazu.

Manni Pentz (€dU) steht auf und ich bemerke, dass er heute keine Krawatte anhat. Welch ein Skandal! Wenn schon die wertkonservativen €dUler sich nachlässig kleiden, dann ist es nicht mehr weit hin bis zur Anarchie! Was kommt als nächstes? Diese lottrigen „Jeanshosen“, womöglich mit Löchern, und weiße Sneaker? Einzig Die PARTEI ist noch korrekt gekleidet, wie es sich aus Respekt vor dem wichtigen Amt des Abgeordneten im Kreistag gehört!

TOP 7 – Die PARTEI stemmt sich heroisch gegen die Inflation am Bau!

Die Angolas von sPD und €dU wollen sich nun auch gütlich halten an den armen Bauträgern und die Gebühren erhöhen, um ihre Scheiß… – äh, defizitäre Finanzpolitik und ihr Vor-die-Wand-Fahren des Kreises zu kompensieren. Da lacht selbst Boris Rhein (€dU), der im Wahlkampf grinsend von Plakaten herunter verspricht, die Grunderwerbssteuer zu übernehmen. Die €dU Darmstadt-Dieburg und ihre schweigenden Mitläufer:innen von der sPD wissen halt, wie man Wahlversprechen schon vor der Wahl untergräbt. Wahrscheinlich ist das Argument, dass die gesparte Steuer nun in die Baugenehmigung investiert werden kann. Halt „linke Hosentasche, rechte Hosentasche“… – und da die anderen Parteien im Kreistag mit den gleichen Taschenspielertricks arbeiten, herrscht dazu zustimmende Stille.
Abgekürzt: als einziger im gesamten Rund des Kreistags stimme ich gegen die Erhöhung der Gebühren für Baugenehmigungen im Landkreis (das „Echo“ berichtet). Dankt mir später.

TOP 9 – Bla-blabla-blablabla-blub zur sozialistischen Planwirtschaft bei der Schulentwicklung

Acht (in Zahlen: 8) Minuten Redezeit wurden im sog. „Kreistagspräsidium“ (eine verschwörerisch-geheime Veranstaltung, die nur Fraktionen vorbehalten ist) ausgeklüngelt. Aber obwohl sPD, GrüNee, €dU, fdP, W. Bischoff und UWG/FW alle reden, sagt kaum jemand irgendwas. Ich hätte in der Zeit eine Runde Crystal Crush zocken können anstatt da wie ein Idiot zuzuhören, ob irgendwer was berichtenswertes sagt. Alle danken für irgendwas, ein paar versuchen ein bisschen Landtagswahlkampf reinzubringen, und ich muss aufpassen, nicht jedes Mal zu vergessen, meine Hand vor den Mund zu heben, wenn ich gelangweilt gähnen muss.

Irgendwelche Witzbolde von GrüNee, sPD und €dU ziehen mit Änderungsanträgen den ganzen Schmuh noch weiter in die Länge und wir müssen über einzelne Ziffern in ihren Anträgen abstimmen, von denen ich gar nicht weiß, was da drin steht. Also stimme ich abwechselnd mit „ja“, „nein“ und „Enthaltung“ ab (je nachdem, ob es viele Stimmen dafür oder dagegen gab; man will ja ein wenig Aufmerksamkeit erregen #Zwinkersmiley).
Am Ende enthalte ich mich zum Schulentwicklungsplan. Besonders toll ist der nämlich nicht – und außerdem darf man solch kommunistischen 5-Jahres-Plänen nie zustimmen ohne sich des Landesverrats verdächtig zu machen; besonders jetzt, wo bald schwarz-braune Koalitionen das Land regieren werden. Das „Echo“ schrieb auch was dazu.

TOP 16 – die Bahn ist zuverlässig, sagt Maxi Schimmel (dem das jetzt total egal ist)

Die Grünen sorgen sich, dass die Bauarbeiten der Deutschen Bahn auf der Riedbahn nächstes Jahr schwerwiegende Verkehrsprobleme im Landkreis DaDi verursachen werden. Aber der (Noch?-) €dU-Fraktionsvorsitzende Maxi Schimmel verteidigt da seinen Arbeitgeber DB und versichert, dass dies ein Pilotprojekt sei und die Bahn viele Ressourcen einsetzen werde. Allein für den Schienenersatzverkehr (SEV) mit Bussen werden 2.000 Busse und 4.000 Fahrer:innen eingesetzt werden. Wo die alle herkommen sollen, sagt er nicht – und wahrscheinlich ist ihm das seit dem 8. Oktober auch völlig egal, jetzt, wo er im Landtag Platz nehmen darf. Zwei alte Männer von sPD und fdP halten die Sorgen auch für überflüssig; schließlich seien andere dafür zuständig – na, dann kann ja nichts schiefgehen bei soviel Optimismus und der deutschen Zuverlässigkeit der Bahn!

TOP 30 – ein neuer Grund für sofortigen Frieden

Dem Hardcore-Pazifist Bischoff ist was neues eingefallen, weswegen der Ukrainekrieg schlecht ist: er killt das Klima mit seinem CO₂-Ausstoß! Also sollte man ihn sofort beenden. Dem stimmt auch die Föhrrrerrrin der FCKAfD zu und nutzt die Vorlage, um wieder mal blindlings auf den Grünen rumzuhacken. Offenbar nutzt sie den Grünen-Bashing-Generator des Postillon intensiv. Zu sagen hat sie aber –so wie immer– nichts, und ich muss aufpassen, nicht zu lachen, weil ich mich an die keifernden Damen aus dem Film „Hexen hexen“ erinnert fühle.

Um 15:12 Uhr sind wir fertig.