Wie wir neulich Spandau die Demokratie brachten.
Jan Weiß vom Spandauer Freiherr-vom-Stein-Gymnasium lud in Spandau relevante Parteien (und die FDP) zu einer Schuldiskussion im Speeddating-Format ein: Jede Partei hatte einen Tisch mit Stuhlkreis; ein Glöckchen erschall alle 15min und die Gruppen zogen dann jeweils einen Tisch weiter.
Wir trafen um 0945 ein und waren mal tatsächlich die Ersten. Man lud nur demokratische Parteien ein (warum dann uns?), die nicht vom Verfassungsschutz beobachtet wurden (achso, deshalb), und das schloss dann wohl eben uns ein und die AfD aus. Die anderen Parteien waren sich der Sache wohl zu sicher und schickten jeweils nur einen Kandidaten, wir kamen zu Dritt: Patrick Ließfeld für die Bezirksliste (BVV), Rhavin Grobert für das Abgeordnetenhaus (AGH) und Ginger aus Sachsen (SS) für die emphanistische Landesverbandskommunikation.
Zuerst wurden wir dem interessierten Auditorium vorgestellt: Vertreter der anderen Parteien unter höflichem und wir unter frenetischem Applaus. Was daran gelegen haben könnte, dass tatsächlich alle Anderen in dieser ehrbaren Oberstufen-Schulaula- Atmosphäre bei ihrer jeweiligen Namensnennung auf Siegerpose und Tanzeinlage verzichteten.
Bereits zur Begrüßung konnten wir das pädagogische Konzept der Schule nachhaltig stärken, indem wir erklärten: „Wir sind hier beim Du, siezen tut man nur Leute, die man für Arschlöcher hält.“ – „Aber wir siezen doch unsere Lehrer…?“ – „Tja, da würde ich mal drüber nachdenken…!“
Einige der überraschend realpolitischen Fragen zielten auf die Finanzierung unserer zahllosen sozialen Wohltaten (9-Euro-Ticket, Bierpreisbremse, Spahns Sterbehilfe etc. ffs.) ab und wurden vermutlich durch den Stapel Geldscheine, die mir aus der Jackettasche hingen, getriggert. Ein Eigenheimbesitzer-Spößling äußerte Bedenken wegen der in Aussicht gestellten baulichen Trennung der Sonderbewirtschaftungszone (SBZ) und seinem Familienanwesen direkt an der Demarkationslinie. Da wir Politiker sind und damit dem Mäzenatentum nicht abgeneigt, erklärte ich, dass wir da individuelle Lösungen verhandeln können. Ganz transparent unter Ausschluss der Öffentlichkeit selbstverständlich.
Frank Bewig von der CDU war inzwischen wieder etwas versöhnlicher uns gegenüber und gab uns in der Nachbesprechung sogar recht, dass das Buffet etwas gering ausgefallen war: es gab keines. Wir hatten uns nämlich zuletzt den Unmut von #lolspd, #NieMehrCDU und #fckafd zugezogen, weil wir ihre laut Standgenehmigung unzulässigen Bowflags vom Spandauer Markt vor den Augen der belustigten Bürger polizeilich entfernen ließen. Das war wohl das Mindeste, was wir für die Wähler hier tun können, wenn wir sie schon selbst nicht entfernt bekommen!
Unsere geschätzten Mitbewerber hatten es schmerzlich vergessen, einen Umkarton geiler Sticker mitzubringen. Wir vermuten, dass es ihnen bereits nach wenigen Runden bewust wurde, als ihre parteipolitische Heißluftbetankung auf Kleingruppen traf, die mit glitzernden „Schlimm“-Stickern in der Hand rumspielten.
Taktisch unklug saß Grünen-Stadtrat Oliver Gellert, der die Gruppen immer nach uns abbekam, und seine Zeit damit verbringen durfte, die anarcho-dadaistischen Flausen auszukämmen, die wir den Kids in den Kopf pflanzten. Wir hatten unsere Samen-Beutelchen dabei und nach zwei Runden musste er nun verteidigen, warum selbst die Grünen bei der Canabis-Legalisierung nur rumlabern, während Die PARTEI an ihrem Tisch mal eben Samen verteilen kann¹. Das rief dann auch einige Lehrer auf den Plan, die schon ihre Eltern-WhatsApp-Gruppe explodieren sahen. Spandaus Bürgermeisterin Carola Brückner (sPD) war zwar der Meinung, dass sei doch in knapp einem Jahr eh alles legal, aber man ließ sich dennoch kurz von mir versichern, dass ich relativ überzeugt sei, dass da nur Brennessel-Samen drin wären. Aber wer weiß das schon so genau.
Einige der gymnasialen Discipulis frugen gar an, ob es nicht besser wär, Politik mal ernst zu nehmen, wurden aber von uns mit dieser Frage eiskalt an die SPD verwiesen, deren peinliche Kopie unserer Dönerpreis-Bremse bei uns und den Jugendlichen eh nur Mitleid erzeugen konnte.
Darauf angesprochen, ob wir die offensichtlichen Defizite im Bildungsbereich auf dem Schirm hätten, konnten wir natürlich mit Fachwissen punkten („Wo sollten sonst die Wähler von AfD und Basis herkommen?“), und versprachen den Bau weiterer Schulen nach unserer Machtübernahme.
Das Kollegium war ganz besonders auf die FckAfd-Sticker scharf (#IRestMyCase) und hatte seinen Zöglingen auch einige Fragen vorformuliert. Eine häufiger gestellte Fragen, bei deren Beantwortung wir uns stets einig waren: „Was würden wir im Falle der Regierungsübernahme zuerst machen?“ – „Urlaub!“
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¹ Vgl. TikTok-Video v. @ruskaja.222222