Im Auge der Kommunalpolitik, Teil 3

Kreistagssitzung am 4. Oktober 2021

Liebes Tagebuch,

Heute war es schon vor der Sitzung amüsant. Denn wir haben ausnahmsweise die Tagesordnung bereits am Morgen gelesen. Da die meisten Änderungsanträge immer erst kurz vor der Sitzung eintrudeln, macht alles andere sowieso keinen Sinn.

Aber der frühe Fänger wurmt ja bekanntlich den Vogel. In diesem Fall handelt es sich um Sigmund Freud und die nach ihm benannte Fehlleistung, die ja bekanntlich viel Inneres offenbart. Konkret geht es um einen Antrag der Volksfront von Judäa (oder war es die judäische Volksfront?) zum Thema sozialer Wohnungsbau. Der ist nämlich nicht nur für Flüchtlinge da, aber auch trotzdem. Oder so. Wir zitieren kurz das Bonmot:

 „… die Bemühungen zu intensivieren, ausreichend sozialen Wohnraum zu schaffen, um auch allen aufgenommenen Geflüchteten eine vernünftige und langfrostige Perspektive geben zu können“.

Wir stellen uns seitdem in winterweißen Farben vor, wie frostig diese Perspektive wohl wirklich ist… Offenbart dies nun die wahre Haltung der judäischen Volksfront (oder der Volksfront von Judäa), hat das „i“ auf der Tastatur geklemmt oder war es wirklich einfach nur ein Vertipper? Autokorrektursmiley. Egal. Außer uns hat es mal wieder keiner bemerkt. Doch wir lassen uns kein o für ein i vormachen!

Wir sehen uns derweil im Saal um. Die €du zeigt schon vor Beginn Anzeichen von Unlust. Kein Wunder nach der Wahlschlappe.

Es gibt heute Tee und Kaffee, man rechnet wohl mit einer längeren Sitzung. Fehlt nur noch Gebäck. Vermutlich hat die €du das abgeräumt – Aachener Printen mögen sie gerade nicht.

Eine Person der Volksfront von Judäa (oder der judäischen Volksfront) hat bei uns nachgefragt, wer von beiden sie denn nun seien. Da wir das jedes Mal spontan (um)entscheiden und meistens auch nicht genau wissen, konnten wir ihr leider nicht abschließend weiterhelfen. Was uns aber freut: unsere Texte werden offensichtlich von mindestens einem Menschen gelesen. Herzlichen Dank.

Und bevor es vergessen wird: Der erste Nachrücker von der Afdings ist da. In der dritten Sitzung erst. Kompliment, wir haben das früher erwartet. Der werte Herr Doktor wollte nicht mehr in diesem Sandkasten spielen, in dem er seine Förmchen nur mit fünf Personen teilen darf. Ja, sie ist ein harter Job, diese Demokratie… Dafür nun ein neuer alter weißer Mann. Überraschend.

Es geht los mit Dringlichkeiten. Unsere ranzigen Anzüge scheinen ein unwissentliches Upgrade bekommen zu haben, einer von uns wurde bei der Abstimmung gerade der €du Fraktion zugeordnet. Das muss diese überraschende räumliche Nähe sein. Wir arbeiten an einer emotionalen Mauer und errichten sie in Windeseile. Frau MR muss wohl erst warm werden. Immerhin unsere Namen sind noch bekannt. Schön: Erst wurden wir Fraktion und nun €du, wenn das so weiter geht, melden wir uns als Minister*inpräsident*inkandidat*innen. Und wir wollen selbstverständlich mehr Geld.

Nun Teil 1 der Tagesordnung. Kenntnisnahmen. Wir schauen wissend drein und nehmen Kenntnis.

Endlich mal wieder eine geheime Wahl, Landeswohlfahrtsverband. Gewählt wird heute im Stuhllager. Wie schön. Kreuzchen machen, standesgemäß mit dem europäischen Sonneborn-Stift. Für eine gute Aura in der Urne. Achso: wir haben den Zettel übrigens richtig rum gefaltet. Die Wahlhelfenden waren auf Zack, Zwinkersmiley.

Hui, wird sind pragmatisch und setzen die Tagesordnung fort, obwohl noch gezählt wird.

Rekord: 30 Minuten. Teil 2 steht an. Wir werden jetzt sicher nett plaudern.

Es geht los mit dezentralen Lüftungsanlagen in Schulen. Hier gab es schon vorab viel Meinung. Ein Mann von der linksgrünenspd-Koalition liest ab. Für den Vorlesewettbewerb reicht es aber nicht. Fest steht: Die Aerosolkonzentration soll reduziert werden, deshalb brauchen wir Luftreinigungsgeräte, schnell. Das sei auch gut gegen normale Erkältungen.

Nun, juhu, die Kandidatin für den Landratsposten der AfDings. Auch sie liest ab. Kinder von Masken erlösen. Es gibt wie immer Fakten, die weder wir noch irgendein anderer kennt, weil sie gerade erst aus Telegram gelesen wurden. Sie will, dass weiter gelüftet wird. Natürliche Frischluftzufuhr. Dafür dann eben eine Runde Pullover für alle. Und die Mädchen können Mützen stricken. Oder man macht daraus ein soziales Projekt für Aussteiger aus der rechten Szene. Natürlich sei das erste Ziel dabei die Rettung der Umwelt, denn das ganze Lüftungsgedöns stößt ja CO2 aus, das sollte man vermeiden. Die Kausalketten sind bestechend. Die AfDings wechselt von brau…, äh blau zu grün. Zusammenfassend: Weniger testen, weniger positive Schüler*innen. Weniger Thermometer, weniger Klimaerwärmung. Weniger… Moment – eine Schülerin unter unseren Testleser*innen weist darauf hin, dass sie dieses Prinzip gar nicht so schlecht findet: weniger Klassenarbeiten, weniger schlechte Noten! Wenn man ganz drauf verzichtet, kann man gleich an alle Einsen vergeben. Bildungsnotstand ist passè!

Die Volksfront von Judäa (oder die judäische Volksfront) hat natürlich eine eigene Meinung dazu. Wir sind, mit Verlaub, die einzigen, die diese Sitzung nicht unnötig verlängern wollen und keinen Änderungsantrag gestellt haben. Wieder mal dankt uns keiner.

Verwirrung bei der Abstimmung: ist es die Volksfront von Judäa oder die judäische Volksfront? Es freut uns, dass wir nicht die einzigen sind, die Schwierigkeiten bei der Zuweisung haben.

Nun wird es spannend, denn wir sind ja immer noch nicht legitimiert. Es geht um BADAMM Die Gültigkeit der Kreiswahl. Demnächst auch als Kinofilm. In 3 Teilen. Mindestens.

Der Wahlprüfungsausschuss stellt den Bericht vor. Es gibt zahlreiche Änderungsanträge. Ausführlicheres könnten wir auch beisteuern, wir haben uns das Ausschussgeschehen komplett reingezogen. Wir wollen aber niemanden langweilen. Im Prinzip geht es darum, dass Rüsselsheim seinem Ruf alle Ehre gemacht hat und Bürger*innen ihre kriminelle Energie bei der Briefwahl ausgelebt haben. Zwei Bezirke fielen besonders auf, aber nicht nur. Daher wird es wohl noch ein bisschen dauern, bis wir vollständig legitimiert sind, denn es sieht nach einer Rüsselsheimer Neuwahl der Briefwahlbezirke aus. Welche Partei davon profitiert hat? Darüber wird offiziell nicht gesprochen. Wir haben also einen Elefanten im Raum.

Die AfDings legt los. Eine flammende Rede für die geheime, unabhängige Wahl. Klar, wer sollte diese Rede auch sonst halten.  

Nun die judäische Volksfront (oder die Sie wissen schon…). Immerhin, es wird nicht abgelesen und man kann wenigstens zuhören. Aber Raunheim wird nun auch kriminalisiert.

Auch die €du kriminalisiert Raunheim. Dort 247 auffällige Stimmzettel. Gleiches Kreuzbild. Wie in der Kirche. Die €du findet es skandalös, dass die Raunheimer Stadtverordneten das nicht angezweifelt haben. Ah, er hat mal den Elefanten im Raum benannt. Einfach so. Kein Blitz aus dem Universum. Aber grenzwertig, da nicht abschließend bewiesen. Jetzt wird er noch ein wenig frecher. Frau MR verpasst ihm eine Bemerkung. Lustig hier. Verstoß gegen die guten Sitten wird angemahnt, gegen selbige aber verstoßen. That’s €du.

Nun Grün. Ausführliche Zusammenfassung. Oh, er hat im Eifer des Gefechts Herrn Lehr zum Kreiswahlleiter befördert. Herzlichen Glückwunsch von unserer Seite. Hoffentlich dürfen wir weiterhin noch direkt anrufen, wenn wir Fragen haben.

Jetzt wird es ein wenig wie im Kindergarten. Uns würde interessieren, was der Elefant im Raum denn dazu sagt. Aber er schweigt.

Puh. Fertig. Wir sind legitim bis auf Rüsselsheim. Der Elefant im Raum hat sich bei allem enthalten. Mal sehen, wer wo was anficht. Wir rechnen mal nicht mit einer Legitimierung vor Ende der Legislaturperiode. Wetten werden noch angenommen. Wer den Kinofilm (siehe oben) finanzieren möchte: Aktenkoffer mit ausreichendem Inhalt bitte direkt an uns.

Das Bildungsleitbild. 250.000 Euro, die herausgeschmissen wurden, sagt die FDP. Die hätte das Geld sicher lieber in Hedgefonds oder Cryptowährungen angelegt. Antrag trotzdem durch.

Nun Kreisklinik. Unser Lieblingsthema. Neverending story (https://www.youtube.com/watch?v=2WN0T-Ee3q4). Wir könnten mal ne Pause vertragen. Sind fast 2 Stunden rum.

Der Adel spricht. Ohne Schlips. Mit Verlaub, das ist sogar uns ein wenig zu lässig. Die Kreisklinik ist also Landratskandidaten-Material. Ausgerechnet die €du will über Kosten von Beratungsleistungen informiert werden. Nerdbrillensmiley. Vetternwirtschaft wird also nur bemängelt, wenn die €du nicht beteiligt ist. Wir schlagen den Klinik-Hausmeisterposten als Hospitanz vor. Man muss sich ja schließlich auch mal in andere Stände reindenken können.

Die €du möchte sogar ne Sondersitzung zum Thema. Vermutlich von irgendwelchen Beratern vorbereitet. Mehr Geld für uns. Leider auch mehr Arbeit. Und keine Zeit für das Wesentliche: Freizeit. Wenn das durchgeht, bitte zu einem bierverträglichen Zeitpunkt.

Mist, keine Abstimmung. Es gibt definitiv eine Sondersitzung. Ein Viertel des Kreistags hat den Antrag gestellt, dann muss das stattfinden. Wir lernen nicht aus.

Jobcenter. Zur Kenntnis wird verbal ausgedehnt. Die Blase drückt.

Ärztlicher Bereitschaftsdienst in Riedstadt. Die FDP und die LINKE sind sich einig. Huch. Es wird von Ampeln geredet und dem Landrat Untätigkeit vorgeworfen. Wir sind ein wenig verwirrt. Es droht in eine lustige Gesprächsrunde abzurutschen. Bilaterales zischt durch den Raum.  

Afghanistan. Wir sind ein sicherer Hafen im Kreis GG, sagt die Regierungskoalition.

Die €du will auch was sagen. Es wird christlich. Wir spüren das Kreuz auf der Schulter, den Dornenkranz auf dem Haupt und ergeben uns in unser Zuhörendenrolle. Die €du findet, dass wir das im Kreis nicht beschließen sollen, da uns das nicht zusteht. Merke: Nächstenliebe sollte auf die oberen Ebenen verlagert werden, bevor man sie selbst lebt. Ansonsten stehen sie natürlich für den Kampf für Freiheit. Mit viel Betonung auf Kampf. Freiheit nur an Feiertagen oder im Urlaub.

Auch die AfDings will dazu reden. Das ist sehr bedauerlich, denn der Inhalt ist vorhersehbar. Und trotzdem lustig. (Nur die €du lacht nicht, die verdauen wohl immer noch die Wahlniederlage von letzter Woche. Fies, dass wir beim Extra-Sitzungstermin mitleiden müssen. Wir sind hier ja nicht in der Gruppentherapie.) Jetzt sind wir bei Ehrenmorden angekommen. Und plötzlich mutiert die AfDings zu Feminist*innen. Klimaschutz, Feminismus was kommt als nächstes? Wir fordern: Bildungsreisen für die AfDings nach Afghanistan!

Ein Thema, heißer als der Vulkan auf La Palma. Die judäische Volksfront (oder die Volksfront von Judäa, wer weiß das schon) übt sich in Whataboutism. Und leitet zum Änderungsantrag über. Der mit o statt i. Es wird frostig im Raum. Der soziale Wohnungsbau ist sicher ohne Heizungen geplant. Wegen Umwelt und so.

Wir werden Opfer von politischem ADHS. Da warnt einen keiner vor. Keine Impulskontrolle bei den Akteuren. Schön, die extreme Mitte zu sein. Frau MR bittet um sachliche Redebeiträge. Dabei wurde es gerade spannend. Macht die dufte Stimmung kaputt.

Währenddessen nähert sich der Adel bedrohlich. Wir checken kurz die Mauer. Sein teurer Schuh ist offen. Aber mehr Offenheit gibt es heute wohl nicht von dieser Seite. Seine Haltung spricht Bände. Jetzt verschließt er auch den Schuh und versteckt sich hinter seinem mobilen Endgerät.

Die Redezeit der Grünen ist aufgebraucht, wir hätten noch welche. Zwinkersmiley.

Schulgärten. Ja, oder? Damit diese Jugend sich endlich mal mit der Umwelt und der Natur beschäftigt, sonst lernen die das ja nie.

Schwimmunterricht, 3. Klasse. Der frisch abgewählte Direktkandidat meldet sich zu Wort und möchte sich mit diesem Thema wohl ein bisschen über Wasser halten. Ist schon gut, wenn Mensch zeitig lernt, mit eleganten Bewegungen gegen den Untergang anzuschwimmen. Er kritisiert den Schwimmstil der Verwaltung – und schon hängen wir wieder mittendrin im Landratswahlkampf. Kennt eigentlich jemand die Nationalhymne von Cascara mit den verschiedenen Schwimmstilen? Wir bräuchten langsam das Nationalprodukt.

Neubau einer Turnhalle. In Gi-Gu. Der Adel wetzt schon die Säbel. Schon wieder Wahlkampf. Juhu. Die Volksfront von Judäa (oder die judäische Volksfront) will auch mitmischen.

§ 218. Ein Antrag der AfDings. Nicht das, was Sie jetzt denken. Es geht um Neutralität vor dem Landratsamt. Die wird seit einer ProFamilia-Aktion von der AfDings bemängelt. Die sind ja neuerdings Feminist*innen, mal sehen, wieviel davon jetzt übrigbleibt. Sie fasst alle möglichen Haltungen der Parteien zusammen. Verstanden wurde keine davon. Daher möchten sie Neutralität. Ja, klar. Deswegen ist die AfDings-Vorsitzende auch in der Schweiz ansässig, um Neutralität zu studieren. Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Frau MR hat nun auch die Volksfront von Judäa mit der judäischen Volksfront verwechselt. Ist aber auch kompliziert.

Schulbusse. Oh, der Landrat informiert persönlich. Auch er muss ein bisschen Wahlkämpfen, wenn auch sehr unterschwellig. Schöne sonore Stimme. Um diese Uhrzeit recht gefährlich. Die Augenlider werden schwerer und schwerer. Die Volksfront von Judäa lädt den Landrat zum Schulbus fahren ein. Ein schönes Bild. Mal schauen, ob wir da auch Zeit haben.

Uff. Zwei Ehrungen noch und dann raus hier. Sieht nach einer Punktlandung aus. Trotz immer noch (oder schon wieder?) tobendem Wahlkampf ertönt der Schlusspfiff.