Wer die Wahl hat, hat den Kreistag.
Tag 1 nach der Hessenwahl. Unsere Lust auf Kommunalpolitik ist auf dem Siedepunkt. Uns steht der Sinn nach größerem, jetzt wo wir klarer Wahlsieger sind. Während wir den erneuten Mauerbau austüfteln, ziehen wir auch unsere innere Brandmauer noch ein bisschen höher. Genauer gesagt bis auf Höhe des Empire State Buildings – äh, des Mount Everest.
Im Kreistag, blicken wir in die (sehr) langen Gesichter all jener Kolleg:innen, die nicht als Verdachtsfall eingestuft sind. Denn die haben – im Gegensatz zu uns – nicht das beste Ergebnis seit immer erreicht. Wir verteilen deshalb Denkzettel in Form von FCKAFD-Aufklebern, die heute (teils zähneknirschend) reißenden Absatz finden. Auch bei der Partei der selbsternannten Zahnfee, die sich das hoffentlich hinter die Ohren schreibt. Also die Partei, denn bei der Zahnfee wird das nix mehr helfen. Notiz an uns: FTZNFRTZ Aufkleber ins Zahnfee-Büro schicken.
Dann gleich weitere Turbulenzen: Die Mitglieder des Ältestenrates sorgen dafür, dass wir zu spät anfangen. Vermutlich müssen sie noch ihre Einlagen wechseln. Dann sind wir mal nicht so.
Die Grünen führen derweil politische Früherziehung durch, sind heute mit Kinderwagen angereist. Sehr gut. Nach gestern kann man nur sagen: Man kann nicht früh genug damit anfangen, Demokratie in die Kinderhirne hineinzubimsen.
Es werde Licht. Heute zum Herbstbeginn ist die Klimaanlage endlich mal auf volle Pulle (gegen erhitzte Gemüter hat es ja eh nie geholfen), aber die Jalousie war dann doch ein bisschen viel für Anfang Oktober. Dann also endlich Helligkeit in dieser dunkelbraunen Stimmung.
Jetzt sehen wir auch endlich: Der Genosse neben uns hat Kuchen. Er bietet uns natürlich nichts an. Frechheit. Jede:r denkt hier wieder nur an sich.
14:15 h – es geht endlich los. Schon wie bei der Bahn hier. Das geht alles von unserer Tagesfreizeit ab.
Haha. Die Vorsitzende wollte ihren Geburtstag vertuschen. Hat nicht geklappt. Also gratuliert der Chef in aller Form und mit Blumen. Ein Ständchen singen dürfen wir leider nicht.
Viele fehlen heute. Kein Wunder, nach gestern. Die €dU will Sachen zum Haushalt klären, hat dafür einen Dringlichkeitsantrag gestellt und hockt nicht nur auf unserem Geld (im Land), sondern stiehlt uns auch die Zeit. Ein scheinbar harmloser älterer Herr versucht das zu begründen. Wir sind recht schnell eingenickt. Sind dagegen.
Dann der übliche Abstimmungs-Kenntnisnahmen-Marathon. Langweilig.
Aber dann: Jetzt gibt’s Theater. In Echt. In der Pause. Und gestern dachten wir noch, das geht heute schnell, bei dieser herrlich kurzen Tagesordnung. Aber da wir in Hessen (offensichtlich) nicht genug Kultur haben, müssen wir die Kultur eben direkt dahin bringen, wo sie gebraucht wird. Es ist wenig verwunderlich, dass die Fraktion der AfDings das ungeheuerlich findet. Sie finden, das beeinflusse politische Entscheidungen. So ein Theater. Die Vorsitzende wählt einen gütlichen Weg und lässt uns abstimmen, ob wir dem Schauspiel zustimmen oder nicht. Oh Wunder, sind bis auf 5 Menschen alle dafür. Jetzt lange Gesichter bei den Antragstellenden.
Los geht’s: Die Revolution von 1848 singt herein und klingt auch nach 175 Jahren noch recht schneidig. Auf jeden Fall der richtige Tag heute für einen Blick hinter die Kulissen der Demokratie. Die AfDings verlässt demensprechend im Takt des „Marchons, Marchons-Gesang“ der Schauspielenden geschlossen den Raum. Das gehörte wohl nicht zum Stück, fügte sich aber bestens ein. Wir waren kurz davor, dem trefflichen Einsatz zu applaudieren. Fantastisch, wie hier wieder einmal die Grenzen zwischen Politik und Schauspiel verwischen.
Nun eine Rede eines bereits skelettierten Radialdemokraten (Friedrich Hecker). Schön, das Schlafen geht im Theater ja noch schneller als in der Politik. Auch die Georg-Büchner-Theatergruppe kann daran nichts ändern. Leider denken sie, Hess:innen müssten hessisch sprechen. Seufz.
Immerhin zweistimmig singen können sie. Ah, der Hesse kann auch berlinerisch. Ein multi-linguales germanisches Sprachtalent. Und die AfDings ist nochmal rausgegangen. Denn sie hatten was vergessen und werden mit den passenden Rufen („undankbares Gesindel“) wieder hinausgescheucht.
Ein Lacher raunt durch den Raum, als es darum geht, dass Frauen trotzdem nicht wählen dürfen. Ja, das hätten einige heute sicher auch noch gerne. Genosse Weiß vertieft sich ins Extrablatt aus dem Jahr 1848. Irgendwie sieht er jetzt noch grauer aus.
Die Texte werden etwas brutaler. Jetzt soll auch noch die Sklaverei verboten werden. Wer macht dann unsere Arbeit? Wir galoppieren weiter durch die Revolution. Gewonnen hat die Stimme des Radikaldemokraten, die einen herrlich einlullenden Ton hat. Wir wachen vom tosenden Applaus wieder auf. Eine treffliche Einlage, die schon nach 20 Minuten wieder ihr Ende hat.
Weiter geht’s mit der Sitzung. Die AfDings boykottiert auch den Rest des Ganzen und hat sich tatsächlich geschlossen verabschiedet (leider nur für heute). Mal wieder ein Vorschlag zur Güte: Wir empfehlen deutschlandweit Theaterstücke zu 1848 in den Parlamenten aufzuführen. Die Riedstädter Büchner-Theatergruppe findet das bestimmt auch gut.
Nun geht es um Mangold. Sehr gesund. Mal sehen, ob das alle wissen. Dann geht es doch nur um eine Schule, die so heißt. Die sPD hat ihre landtägliche Schockstarre überwunden und findet Mangold ganz schön. Als es sprachlich deftig wird, kommen dem Genossen Weiß Werbe-Jingles für Wurst in den Sinn.
Wir müssen aber ehrlich sagen, dass uns entfallen ist, was Mangold mit Bauen zu tun hat. Irgendwie hat die €dU gerade gelacht, als wir kurz nicht hingehört haben. Die Spaßparteien scheinen die Rollen zu wechseln. Natürlich bauen wir Schulen und Mensen. Sie werden ja dringend benötigt, wie wir gestern bemerken konnten.
Der Nachbargenosse (der mit dem Kuchen) ist heute etwas ärgerlich und erklärt sicherheitshalber alles nochmal. Erinnert uns ein bisschen an unsere Eltern früher, wenn wir mal wieder Mathe nicht kapiert haben. Er fordert eine weitere Revolution (leider singt er das nicht), nämlich die des Vergaberechts. Gut, dass wir wissen, dass wir nichts wissen. Vor allem nicht vom Vergaberecht. Egal. Raus mit der Kohle. Die Baubranche muss auch leben und Kinder brauchen Mangold.
Im Landtagswahlkampf die hessische Bildung loben und einen Tag nach der Wahl gegen Bildung stimmen. #€dU Bei Zweifeln erinnern wir: Die Sache ist ganz einfach und wurde durch uns bereits mehrfach angeregt: Schulbau durch die Berufsschule erledigen lassen. Win-win-win.
Die Grünen (wer?) zum Flughafen. Auch hier wäre es schön, wenn gesungen würde. Der Unterhaltungswert des Theaterstücks war doch recht hoch, bemerken wir jetzt. Der pastorale Ton ist anstrengend. Die sPD redet von Nachtschlaf, haben die schon mal Schicht gearbeitet?
Jetzt geht es wieder um den Schnelle-Gurken-Brüter. Wir sind für mehr deutsche Bananen aus deutschen Gewächshäusern. Oder Ananas! Agaven! Datteln! Paprika und Gurken gehen uns einfach nicht weit genug. Den Klimawandel positiv nutzen! Die Grünen sorgen sich um die Tiere außerhalb des Gewächshauses. Einfach mal die Türen offenlassen. Feldmaus und Heuschrecke freuen sich über ein trockenes Zuhause. Was auch geht: Opel abreißen als Flächenausgleich für das Gewächshaus oder Opel zum Gewächshaus machen. Endlich wieder Wachstum für Rüsselsheim. Da freuen sich alle.
Jetzt kommt die sPD mit Nachhaltigkeit. Huch. Ach so, auch die soziale. Es geht um nicht weniger als die Zukunft der Landwirtschaft. Was in den nächsten 20 Jahren passiert? Ganz einfach: Es wird warm, wir brauchen keine Gewächshäuser mehr. Oder mehr Spargel oder jetzt schon Weinreben auf den flachen Feldern des Südkreises anpflanzen und Olivenhaine anlegen. Südfrankreich im Südkreis in Südhessen. Passt doch.
Eltern. Schüler. Lenkung. Irgendwas. Es geht um Fachschülermangel. Ein neues (bereits beschlossenes) Gymnasium ist der Spaßpartei zwar genehm, sie wären aber gerne vorher gefragt worden. Sorry, ey. In der Benamung ist allerdings noch Luft nach oben. Wir sind für die endgültige Teilung der Schularten, daher unser Namensvorschlag für das neue Gymnasium „Chlodwig-Poth-Gymnasium“. Egal. Antrag ist eh erledigt. Der Chef hat mal vorgearbeitet, daher hier Friede, Freude, Eierkuchen.
Wir stimmen das Schlusslied an: Bau-Check, Bau-Check, Bau-Check, mehr Beton 🎶 Die Volksfront von Judäa (oder die judäische Volksfront, wer weiß das schon) mag keine Kostensteigerungen. Heute sind sie übrigens stark dezimiert. Eine Bürgermeisterkandidatin für die Stadt Groß-Gerau ist gestern in die Stichwahl gekommen und muss nun vermutlich erst mal ihren (Glücks-)Rausch ausschlafen. Bei der Abstimmung: Noch mehr Friede, Freude, Eierkuchen.
Der Antrag der AfDings wird in Abwesenheit geschlossen abgelehnt. Für Feierstimmung reicht das nicht. Wir feiern trotzdem, denn wir sind fertig.
Nachtrag: Der grüne Nachwuchs hat übrigens die ganze Sitzung durchgepennt und ist nicht durch Prostest aufgefallen. Der Apfel …